Clementine Gasser

Projekte

EN see below   

SPLEEN DE PARIS - CHARLES BAUDELAIRE

 


'Wilde Kammermusik' für
           Charles Baudelaire’s
                             Großstadtfantasien
(Auszüge)
                                   
 


Clementine Gasser
Konzeption, Musik/Komposition, Violoncello
Erwin Schober
Schlagzeug, Perkussion
Markus Hering
Rezitation deutsch
Patrick O. Beck
Rezitation französisch
Hans Mrak
Dramaturgie

 


Charles Baudelaire © Nadar    Musik 

Er ist der Erfinder des Dandy und des Flaneur, und der Schauplatz seiner suggestiven Poesie ist Paris, jenes neuzeitliche Labyrinth der Abenteuer, Laboratorium der Schönheit und des Bizarren und "unermessliches Reservoir an Elektrizität": Charles Baudelaire und seine Großstadtfantasien à la « Spleen de Paris » bilden den literarischen Ausgangspunkt für das aktuelle Projekt von Clementine Gasser.

Die Schweizer Komponistin und Cellistin hat in Wien vor allem mit Bühnenmusiken für das Burgtheater Aufsehen erregt und zuletzt die vielbeachtete Solo CD PIONEER 23 herausgebracht. Für die bizarre Alltagspoesie Baudelaires greift Gassers 'Wilde Kammermusik' dessen Idee der « correspondances » von Farben, Düften und Klängen auf und transformiert den Gehalt der Texte in musikalische Wahrnehmung mittels Symbiose von Klang und Zeit, Überlagerungen von realen und imaginären Strukturen, Improvisation, kompositorischen Prozessen und Collage-Techniken.     
Albert Seitlinger/jeunesse                                                                                                                 

Meine Seele wandert auf dem Duft wie die Seele anderer Menschen auf der Musik. Charles Baudelaire (1821–1867)

 

 

 

 

Land des wahns? - Flashback

 
... que cet ardent sanglot qui roule d’âge en âge
et qui vient mourir au bord de votre éternité.

... glühend’ Seufzer, die durch alle Zeiten branden,
vergehend an den Ufern deiner Ewigkeiten...
Baudelaire : Les phares /Die Leuchtfeuer
 
 
Es ist schon einige Zeit her, als mich diese Zeilen aus Paris, Jardin du Luxembourg, erreichten. Dort steht das Denkmal von Charles Baudelaire. Sie waren für mich der Impuls, über Baudelaire zu arbeiten.
 

Kein Anfang und kein Ende


Das Ufer der Ewigkeiten: eine Aufforderung zur Reise. Wenn es so etwas wie ein Ziel gibt, dann ist es nicht nur das Paris Baudelaires, dann sind es die fremden, unbekannten Landschaften der Seele Baudelaires: Im Zentrum steht das Reisen, niemals das Ankommen. Die Leuchtfeuer brennen, aber garantieren sie die Einfahrt in den sicheren Hafen?

Wenn der Zwiespalt zwischen dem Ich und der Welt unüberbrückbar erscheint, gibt es eine subjektive Brücke: die Fantasie. Sie hat das Recht zur Wildheit, die schillernde Kreativität des Ungleichgewichts wird zum Funken des Schöpferischen. Der Seiltanz über dem Abgrund zwischen der Fantasie und der Realität schafft auch glasklare Momente, die als ordnende Kraft im Chaos wirken.

Die Furcht vor dem Wirklichen, die Ablehnung des "Normalen"  oder auch "Alltäglichen" wirft Baudelaire immer wieder in die Welt des "Irrealen". Zwar widmet er sich, in « Spleen de Paris » speziell dem Alltäglichen – ein Alltag, gefärbt von  n’importe où hors du monde/ überall, nur nicht auf dieser Welt. Dieser Kosmos ist absurd, widersinnig, unlogisch. Immer wieder werde ich von seiner Poesie überwältigt: Ja – Leben und Tod sind ein Liebespaar, n’est-ce pas?

Die ausgewählten elf Territorien sind paradigmatisch für Baudelaires zum Teil nächtliche Fahrten ins Land des Wahns – ein Zimmer, das sein Antlitz ändert, das Haar der Geliebten, die Stube des Teufels, die vor Menschen überbordende Stadt, der Rausch, die Nacht, die Poesie: sämtlich Reiseberichte, die das Weltgebäude des Dichters erkunden. Destination inconnue.
 

Die Musik höhlt den Himmel aus (Baudelaire)

Baudelaire-Suite

              für 5-String-Violoncello, Schlagzeug/Percussion         

                                                             und zwei Sprechstimmen


Die Musik spiegelt die Sprache Baudelaires, die Symbiose von Klang und Zeit entspricht den synästhetischen Phänomenen, die (härtere) deutsche und (weichere) französische Sprache fungieren dabei als konträres Paar. Im Vordergrund temporale Elemente: Rhythmus, Metrum, Takt, Tempo/Agogik. Tonal dominieren eher dunkle Modes, welche die Zeitauffassung beein- flussen können. Was ist reale, was ist imaginäre Zeit?

Die instrumentale Verbindung von Violoncello und Schlagzeug bildet für die Texte jene See, auf welcher sich Seele und Sehnsüchte bewegen, irren, umherschweifen, Baudelaires ewig fahrenden Schiffen ähnlich. Baudelaires Subwelten (z. B. in Un hémisphère dans une chevleure/Die Welt in deinem Haar oder L’horloge/Die Uhr) platzieren sich in Ober-/Mikro- Ton-Konstrukten und Klanggebilden, die allein durch konzentriert entspannte (Bogen-) Techniken geformt werden können.

Das Ziellose, die Flucht werden musikalisch in fugatoartigen Abfolgen aufgenommen: Die Suche nach oder das Fliehen vor dem "schwarzen Loch" – da hilft auch alle Macht der Fantasie nichts mehr. // Die Ästhetik des Verschwindens – Klangschleifen, die keine sind. // Sprengungen. // Punkt. // Und schon geht es weiter. // Unruhe. // Was? // Elektrisches Heizgerät. // Eleganz der Abart.

Und kaum entsteht der Eindruck des Ankommens, tönt schon wieder das Signal zum Aufbruch. Die Reise nimmt kein Ende. Jene Elemente und Einschnitte geben dabei beim Hören immer wieder Orientierungspunkte auch in scheinbar chaotisch wuchernden Verläufen. Any where out of the world … Das Selbst appelliert zum Wiederfinden der eigenen Kontinuität. Alle Formalitäten und Gefälligkeiten sind ein Riesenschwindel. Keiner sagt die Wahrheit. Wir spielen dieses Spiel endlos weiter – Etikette, zivilisiertes Benehmen, Masken.

(Er)trunken in der Zeit


Musikalische Formen zu erzeugen in Baudelaires immensen, psychischen Landschaften erfordert ein Eintauchen in ozeanische Untiefen: fortwährendes Kreisen, erneute Aufnahme eines Motivs/Themas, Verwerfen, Wiederaufnehmen, Verwerfen, Wiederaufnehmen. Strukturjonglage – auf dass sich die Hauptstränge herauskristallisieren.
Baudelaire erschuf aus dem Abnormen, dem Armseligen, Verfallenen, Bösen, Nächtlichen und Künstlichen (im Sinne von Kunst) beeindruckende Welten. Sie scheinen von feuriger Intensität und leidenschaftlicher Lust am Widerstand durchdrungen zu sein. Die Wortkunst Baudelaires deliriert, um mit ihrer Sogkraft – messerscharf – mein entblößtes Herz zu treffen. Merci!
Jeunesse Programmheft, Clementine Gasser 2005

 

Aufführungen:
►    Première: Odeon, Wien (A), eine ,jeunesse-Produktion, Januar 2005 (UA)
   Burgtheater-Kasino am Schwarzenbergplatz, Wien (A), Februar 2007

)
Clementine Gasser © Lukas Beck

Review: Concerto Magazin

--

SPLEEN DE PARIS - CHARLES BAUDELAIRE

 


'Wilde Kammermusik' with
          Charles Baudelaire’s
                   impressions of city life
(extracts)
                                   
 


Clementine Gasser
conception, music/composition, cello
Erwin Schober
drums, percussion
Markus Hering
german recital
Patrick O. Beck
french recital
Hans Mrak
dramatic advisor

 


Charles Baudelaire © Nadar  •  Music 

He invented the dandy and the flaneur, and the scene of his evocative poetry is Paris, this modern-day labyrinth of adventures, a laboratory of beauty and the bizarre and “unfathomable reservoir of electricity”: Charles Baudelaire and his city life impressions or « Spleen de Paris » are the literary point of departure for Clementine Gasser’s current project.

The Swiss composer and cellist, who has aroused attention in Vienna particularly for the music she composed for the Burgtheater, has most recently released the much acclaimed solo CD PIONEER 23. For Baudelaire’s bizarre poetry on city life, Gasser’s 'Wilde Kammermusik' has picked up his idea of  « correspondances » between colours, scents and sounds and transforms the content of the poems into musical perception by achieving a symbiosis of sound and time, a layering of real and imaginary structures, improvisation, composition elements and collage techniques. 
Albert Seitlinger/jeunesse                                                                                                     

My soul voyages on its perfume as other men's souls on music. Charles Baudelaire (1821–1867)
transl. by Louise Varèse

 

 

 

 

Land of delusion? - Flashback

 
... que cet ardent sanglot qui roule d’âge en âge
et qui vient mourir au bord de votre éternité.

... glühend’ Seufzer, die durch alle Zeiten branden,
vergehend an den Ufern deiner Ewigkeiten...
Baudelaire : Les phares /Die Leuchtfeuer

… Are these impassioned sobs that through the ages roll,
And die away upon the shore of your Eternity
Baudelaire, “Beacons”, transl. by William Aggeler

 

It has been a while since these lines were sent to me from Paris, Jardin du Luxembourg, where the monument of Charles Baudelaire can be found. They were my inspiration to work on Baudelaire.
 

    No beginning and no end

 
The shore of eternity: an invitation to travel. If there is something like a destination it is not only Baudelaire’s Paris, but it is the foreign, unknown landscape of Baudelaire’s soul: it is the voyage that counts, never the arrival. The beacons are shining, but will they warrant entry into the safety of the harbour?

When the chasm separating the self from the world seems unbridgeable, there is a subjective bridge: imagination. Imagination has the right to be wild; the scintillating nature of imbalance turns into the spark of creativity. The tightrope walk across the chasm between imagination and reality also creates moments of crystal clarity that have the power to provide order in chaos.

Fear of reality, rejection of what is “normal” or “common” often drives Baudelaire into the realm of the “unreal”. Although in « Spleen de Paris » he devotes himself particularly to daily life – a daily life coloured by n’importe où hors du monde/anywhere out of this world. This cosmos is absurd, paradoxical, illogical. Time and again his poetry overwhelms me:    yes – life and death are lovers, n’est-ce pas?

The 11 territories Baudelaire chooses are paradigmatic of his nightly travels into the land of delusion – a room that changes its face, the loved one’s hair, the devil’s livingroom, the city brimming over with people, drunkenness, the night, poetry: all of them travelogues of journeys through the world of the poet. Destination inconnue.
 

    Music fathoms the sky (Baudelaire)

    Baudelaire quartet: 5-string cello, percussion, 2 speaking voices

 
The music reflects Baudelaire’s language, the symbiosis of sound and time corresponds to the synaesthetic phenomena, the (harsher) German and (softer) French languages serve as paired opposites. In the foreground one finds temporal elements: rhythm, metre, beat, tempo/rubato. In tonal terms the darker modes are dominant which could influence the perception of time. What is real and what imaginary time?

The instrumental combination of cello and percussion provides “the sea” for the texts, on which the soul and its desires are moving, roaming, wandering, like Baudelaire’s eternally sailing boats. Baudelaire’s sub-worlds (e.g. A hemisphere in your hair /Un hémisphère dans une chevelure, The clock/L’horloge) are positioned in over tone and micro-tone constructions and sound bodies which can be formed merely by a focused, relaxed (bowing) technique.

Aimlessness and flight are captured in the music by fugato-like sequences: searching for or fleeing the “black hole” – even the power of imagination won’t help you there. // The aesthetic of disappearance – sound loops which are not what they seem to be. //  Explosions. //  Stop. // Carry on. //  Unrest. //  What? //  Electric heater. //  Elegance of anomaly.

Whenever it feels like arrival is near there is yet another signal for departure. The journey never ends. The elements and caesuras help the listener find some orientation in what seem to be rampantly chaotic landscapes. Anywhere out of the world ...
The self invites one to find one’s own continuity. All formality and obligingness are a huge scam. No-one speaks the truth. We are playing this game in all eternity – manners, civilised conduct, masks.

 

    (Er-)Trunken in der Zeit - (Drowned and drunk in time)

 
To create musical forms in Baudelaire’s vast psychic landscapes requires immersion into dangerous oceanic shallows: eternal circling, renewed revival of a motif/theme, rejection, revival, rejection, revival. Juggling with structures – so that the main strands may become visible.
Baudelaire created impressive worlds out of what is abnormal, miserable, derelict, “evil”, nocturnal and artificial (in the sense of artful). His worlds seem to be brimming with fiery intensity and a passionate joy of resistance. Baudelaire’s art of writing is delirious and creates an undertow which cuts – like a knife – right into my heart laid bare. Merci!
Jeunesse programme brochure, Clementine Gasser 2005

 

Performances:  
►    Premiere: Odeon, Vienna/Austria, ,jeunesse-production, january 2005
    Burgtheater-Kasino am Schwarzenbergplatz, Vienna/Austria, february 2007